Weiter-denken in der bayerischen Flüchtlingspolitik
Gibt es einen Paradigmenwechsel? (Symposium am 20. Oktober 2014)
Flüchtlinge verbringen bis zum Abschluss ihrer Verfahren viel Zeit bei uns. Auch diese Zeit ist wertvolle Lebenszeit. Viele dieser Menschen bleiben, und auch die, die nicht bleiben können, sollen förderliche Bedingungen finden. Jugendliche sollen frühestmöglich eine Ausbildung und Erwachsene Arbeitsmöglichkeit bekommen. Dies wäre auch der beste Schritt zur sozialen Entlastung und Integration.
Möglicherweise können wir derzeit eine Art Paradigmenwechsel hin zu einer stärker sozial-integrativen Flüchtlingspolitik – insbesondere im Umgang mit jugendlichen Flüchtlingen- beobachten.
Ob dies so ist – und was so ein Wechsel der Zielperspektive bedeuten würde – sollte auf dem Münchner Symposium am 20. Oktober 2014 diskutiert werden. Im Zentrum standen dabei folgende Fragen:
- Was ist seit Beginn der neuen Legislaturperiode in der Asylgesetzgebung auf Landesebene geschehen?
- Was sind die leitenden Zielperspektiven?
- Ist eine grundlegende Änderung im Umgang mit Flüchtlingen in der bayerischen Politik zu erkennen?
- Was bedeuten die neuen Zielsetzungen für unterschiedliche Handlungsfelder wie Unterbringung, Zugang zu Bildung und Integration in den Arbeitsmarkt.
Eine Auswertung der Ergebnisse des Symposiums finden Sie in folgenden Pressemitteilung der Stiftung:
Paradigmenwechsel in der bayerischen Flüchtlingspolitik?
Gibt es einen Wechsel in der bayerischen Flüchtlingspolitik von einer ausländerrechtlich dominierten bis abschreckenden Haltung hin zu einer verstärkt sozial-integrativen? – Diese Frage stellte am 20. Oktober 2014 in der Münchner Markuskirche die Stiftung Weiter-Denken, die sich zum Ziel gesetzt hat, im Zusammenspiel von Kirche und Gesellschaft auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Problemfeldern innovative Lösungen mit zu entwickeln.
Bei einem Symposium der Stiftung tauschten sich Experten aus der Landeshauptstadt München, dem bayerischen Sozial-, Innen- sowie Kultusministerium, den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, NGOs sowie bürgerschaftlich engagierten Unterstützergruppen darüber aus, welche Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit und Bleiberecht für einen wirklichen Paradigmenwechsel erforderlich sind. Das Symposium fand in einem geschützten Rahmen ohne breitere Öffentlichkeit statt. „Auf diese Weise will die Stiftung dazu beitragen, dass auch gegensätzliche Positionen in der Flucht- und Asylpolitik in Bewegung kommen und das Gespräch suchen“, so die Vorsitzende der Stiftung Weiter-Denken Jutta Höcht-Stöhr.
Einige Anzeichen scheinen für ein politisches Umdenken zu sprechen: So wurde seit dem Sommer 2013 der Satz, die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammellagern solle „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“, aus der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung gestrichen, Essenspakete in Gemeinschaftsunterkünften wurden durch Bargeldauszahlung ersetzt und ehrenamtliche Deutschkurse bezuschusst. Ob aber allein durch diese Änderungen ein Paradigmenwechsel in der bayerischen Flüchtlingspolitik signalisiert ist, war bei dem Symposium umstritten.
Ein grundlegender Wechsel würde bedeuten, Asylsuchenden hier in der Zeit, in der sie im Asylverfahren sind, bereits eine qualitative Lebenszeit zu ermöglichen – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Forderungen zu den einzelnen Themenbereichen machen dies konkret:
Dazu gehört, im Sinne einer echten Willkommenskultur, die Möglichkeit, die deutsche Sprache unabhängig vom Aufenthaltsstatus und sofort nach der Ankunft strukturiert zu erlernen. Eine Forderung aus Kreisen der Wirtschaft und der Handwerkskammer lautet, jungen Flüchtlingen ab 16 Jahren, für die Berufsschulpflicht besteht, den Abschluss einer Ausbildung zu ermöglichen und danach in jedem Fall noch zwei Jahre zu garantieren, in denen sie als Fachkräfte Berufserfahrung sammeln.
Ein zentraler kritischer Punkt ist die bayerische Politik, Flüchtlinge möglichst in Lagern und Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Da sich die Verfahren oft über Jahre hinziehen, werden Menschen, die hoch motiviert sind, in die Passivität gezwungen. Die Folgen sind sozial wie gesundheitlich problematisch. Dezentrale Unterbringung weckt in der Regel eine große Bereitschaft der Bevölkerung, den Asylsuchenden Unterstützung zu bieten. Diejenigen, die bereits Familie oder Bekannte in Deutschland haben, sollen die Möglichkeit haben, dorthin zu ziehen.
Es müsste, so ein Votum aus der Ausländerbehörde, zudem die Möglichkeit geschaffen werden, vom Status des Asylbewerbers in einen anderen ausländerrechtlichen Status wechseln zu können, wenn deutlich wird, dass der oder die Asylsuchende über Qualifikationen verfügt, die in Deutschland dringend benötigt werden. Die bisherige Festlegung auf das Asylverfahren ohne Umstiegsmöglichkeit schadet nicht nur den Flüchtlingen, sondern auch der Zukunft Deutschlands.
Mit der wachsenden Zahl der Flüchtlinge stieg in diesem Jahr auch die Zahl der Kirchenasyle. Dies ist, wie in den 1990er Jahren ein Indikator dafür, dass sich eine gesellschaftliche Debatte entwickelt, ob die derzeit praktizierten Verfahren den Verhältnissen noch gerecht werden oder selbst neues Unrecht schaffen. Die Zunahme von Kirchenasylbegehren verweist v.a. darauf, dass die Dublin III-Verordnung mit ihrem derzeitigen unzureichenden europäischen Verteilsystem weiter entwickelt werden muss.
Einige der neuen Regelungen für Asylsuchende, die auf Bundesebene beschlossen wurden, weisen in die richtige Richtung für einen Paradigmenwechsel: Lockerung der Residenzpflicht mit Bewegungsfreiheit im ganzen Bundesgebiet, frühzeitige Arbeitserlaubnis bereits nach drei Monaten. Das Umdenken muss aber noch wesentlich weiter gehen.
Teilnehmerliste (pdf)
Programmablauf (pdf)